„Mein schönster Augenblick“

Roland Kuster hat als Gemeindeammann von Wettingen die Ortschaft geprägt. Jetzt tritt er zurück. Und gibt seine Erfahrungen weiter. 

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Wettingen, 08.05.2025 – Als ich ihn aufsuchte am Donnerstag um 9 Uhr, da war gerade eine Kaffeepause zu ende. In der Gemeindeverwaltung von Wettingen gibt es nämlich die besondere Tradition, Geburtstagskinder mit einem Café-Gipfeli-Besuch beim Gemeindeammann zu ehren.

Roland Kuster hat viel bewegt. Mit Mandaten nicht nur als Gemeindeammann, aber auch als Präsident des regionalen Planungsverbandes und als Mitglied im kantonalen Parlament. Zudem war sein Vollamt in der Gemeinde auch verbunden mit Stellvertreter-Rollen in allen Departementen der gemeinderätlichen Ressorts. Ein Job, der nie Pause machte. Auch dann nicht, wenn er mit Family und Kids im Restaurant unterwegs war. Wobei es dabei schon mal vorkommen konnte, dass seine fünfjährige Tochter einem Störenden entgegenrief: «Ich bin jetzt mit meinem Papi da!»

Nicht immer lief alles rund. Seine Wiederwahl als Gemeindeammann vor vier Jahren verpasste er im ersten Wahlgang um ein paar Stimmen. Was ist ihm durch den Kopf gegangen bei dieser Nicht-Wahl? «Ich war natürlich überrascht und enttäuscht, dachte ich doch, einen guten und engagierten Job gemacht zu haben in meinen ersten fünf Jahren als Gemeindeammann. Bei näherer Betrachtung komme ich aber zum Schluss, dass man solche Ereignisse nicht allzu persönlich nehmen sollte. Oft sind solche Voten nicht gegen die Person gerichtet, sondern gegen die Funktion und Rolle an sich und hängen auch oft von der «Grosswetterlage» ab.» In solchen Fällen sei die starke Resilienz des Politikers gefragt.

Bei der Umsetzung von Grossprojekten hat Kuster einen Lernprozess durchlaufen. Geschult bei SBB Cargo und in der Privatwirtschaft kannte er anfangs die eine Vorgehensweise, sich bei Vorhaben auf die Überzeugungskraft gegenüber dem Verwaltungsrat oder einem anderen Entscheidungsgremium zu fokussieren. «Hier im öffentlichen Sektor muss man viel mehr Leute und Institutionen ins Boot holen und eine Gesamtschau anbieten, wie wir bei einem Schulbauprojekt schmerzlich erleben mussten.»

Wie hält man den Spirit im Gemeinderat hoch? «Mit einer klaren Regel. Es wird diskutiert in aller Offenheit, so lange, bis ein Entscheid reif ist. Verlässt man den Raum, halten sich alle an das Kollegialitätsprinzip. Es gab auch Fälle, wo ich als Einziger eine andere Meinung hatte. Auch ich musste zum Mehrheitsentscheid stehen.»

Wie bereitet man schwierige Entscheide vor? Betet man? «Ich bin zwar katholisch erzogen worden, aber nicht wirklich ein religiöser Mensch. Für mich gilt eine klare Entscheidungsstruktur. Was spricht dafür, was dagegen, welche Auswirkungen und Konsequenzen hat es längerfristig. Das «zu-ende-denken» ist mir wichtig. »

Wie informiert man sich über das aktuelle Geschehen? «Ich lese zwar die Lokalpresse, die Neue Zürcher Zeitung und verfolge die Tagesschau, versuche mich aber ganz auf Informationen, die zu meiner Arbeit gehören, zu konzentrieren. Ich lasse mir den aktuellen Stand in der Verwaltung zu Personal, Finanzen und Projektfortschritten in regelmässig strikt geplanten Treffen schildern, damit ich immer im Bild bin, was in Wettingen und in der Verwaltung läuft und dadurch die Inhalte der Beschlussdokumente aktiv steuern kann.» Auch Social Media Kanäle nutze er nur sehr bescheiden.

Wie geht man am besten mit begangenen Fehlern um? «Meine eigenen Fehlleistungen haben mich in jungen Jahren mehr zermürbt als heute, muss ich sagen. Fehler kommen halt vor. Wichtig ist eine proaktive Reaktion in Form von Einsicht, Dazustehen, Entschuldigung und Wiedergutmachung.»

Mailen oder telefonieren? «Ich komme immer mehr zum Schluss, dass telefonieren viel effizienter ist. Bei hin und her-mails verstärken sich oft die Gegensätze. Es ist immer besser, die Lösung in einem persönlichen Gespräch zu suchen als im eskalierenden Fernduell nach jeder Runde noch stärker auf seinem Standpunkt zu beharren. «

Und sein schönstes Erlebnis in all den Jahren? «Als während einer Corona-Lockdown-Zeit mit den zeltartigen Altersheim-Kabinen eine 105jährige Dame, der ich besuchsweise zum ausserordentlichen Geburtstag gratulieren wollte, spontan aufstand, den Plastikvorhang zur Seite wischte, die Arme weit ausstreckte und mir entgegenrief: «Mein Gemeindeammann, lass Dich umarmen.»

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