Riniken, 05.09.2024 – Die Empörung ist gross. Gefälschte Unterschriften bei Initiativen und Referenden gefährden die Glaubwürdigkeit der demokratischen Instrumente in der Schweiz. Im Visier auch Gemeindekanzleien. Denn sie stellen Stimmrechtsbescheinigungen aus. Guido Solari, Präsident der Schweizerischen Konferenz der Stadt und Gemeindeschreiber nimmt Stellung.
Herr Solari, hat Sie die Nachricht der Fälschungen überrascht?
Guido Solari: In ihrem Ausmass schon. Zuerst hiess es, vor allem der Kanton Waadt sei betroffen und insbesondere die Stadt Lausanne, wo entsprechende Dienstleistungsunternehmen angesiedelt sind. Doch seit neustem spricht man auch von Zürich, das erstaunt mich schon.
Sollte man die Entschädigungen für das Sammeln von Unterschriften verbieten?
Guido Solari: Sicher sind geldwerte Anreize verlockend, um gesetzliche Vorgaben zu umgehen. Verbietet man sie aber, könnte das jedoch zu ungleichen Spiessen führen. Kleine Komitees, die zwar nicht über viel Personal, jedoch über finanzielle Mittel verfügen, wären im Sammeln beeinträchtigt. Ein Verbot könnte grossen Organisationen in die Hände spielen, die viel Personal zum Sammeln auf die Strasse schicken können. Das wäre aus meiner Sicht unfair. Zudem denke ich, dass es verfassungsrechtlich im Minimum zweifelhaft ist, vorzuschreiben, in welcher Art und Weise Unterschriften gesammelt werden.
Könnten die Berichte über die Fälschungen das e-voting befeuern?
Guido Solari: Beim e-voting geht es um die Durchführung der Abstimmung bzw. einer Wahl. e-Voting ist mit Bestimmtheit eine sichere Sache, wenn es korrekt durchgeführt wird. Von daher kann ich mir vorstellen, dass die Debatte dazu aktuell eine Beschleunigung erleben wird.
Sollten Firmen, die Unterschriften gegen Entgelt sammeln, zertifiziert werden?
Guido Solari: Eine Zertifizierung kennen wir bei verschiedenen Institutionen, auch jenen, die Geld für einen guten Zweck sammeln (ZEWO-Zertifikat zB.). Von daher denke ich, eine Inpflichtnahme von Dienstleistern der Demokratie könnte durchaus Sinn machen.
Jeder Stimmrechtsausweis bei brieflichen Abstimmungen muss unterzeichnet sein. Sollten diese Unterschriften eingescannt, den Stimmbürgern zugeordnet und als Vergleich genutzt werden?
Guido Solari: Im Zeitalter von KI und digitalen Instrumenten könnte das durchaus eine Überlegung wert sein. Aber grundsätzlich gehen wir doch in der Schweiz davon aus, dass die Bürgerschaft ehrlich ist. Wenn wir hingehen müssen und hinter jede Aktion einen Missbrauchsverdacht erahnen müssen, ist es mit der Qualität unserer Demokratie auch nicht mehr weit her.
Guido Solari ist seit Juni 2024 Präsident der Schweizerischen Konferenz der Stadt- und Gemeindeschreiber. Er ist Stadtschreiber von Willisau. Zuvor wirkte er in Kriens und Dietikon.
Vorwürfe von Fälschungen gab es bereits früher. Ein Beispiel sind Fälschungen durch Verkäuferinnen der Firma Denner in den 70er Jahren, welche sich das Telefonbuch vorgeknöpft hatten. Die Bundeskanzlei beschloss daraufhin, dass auf dem Unterschriftenbogen auch der Jahrgang figurieren müsse, da dieser nicht im Telefonbuch nachgeschlagen werden kann. Bei knappen Initiativen und Referenden finden zudem aufwendige Überprüfungen statt, die oft über mehrere Etappen erfolgen und ausmünden in einer sehr ausführlichen Zustandekommensverfügung. So wurde beispielsweise ein Gemeindepräsident eines ostschweizer Kantons verurteilt, nachdem festgestellt wurde, dass er selber fünf mal, seine Gattin 4 mal und sein Sohn dreimal unterzeichnet hatten. Die Stimmrechtsbescheinigung nahm er auch gleich selber von Amtes wegen vor. Kritisch aus demokratischer Sicht sind Fälschungen vor allem bei Referenden. Es wäre sehr stossend, ein Gesetz abgelehnt zu sehen, das im Referendum nur durch Fälschung zustandegekommen war. Österreich geht übrigens bei Volksinitiativen den Weg der grossen Sicherheit. Zwar braucht es auch dort nur 100’000 Unterschriften. Doch diese müssen persönlich in der Wählerevidenz geleistet werden und man hat nur 7 Tage Zeit.