Guido Müller griff zum Hörer und telefoniert nach Genf. Er hatte erfahren, dass der amerikanische Autobauer General Motors eine Montagehalle suche. Der Kontakt kam zustande. Das war 1934. Das Resultat: Ab dem Jahre 1936 rollten in Biel Fahrzeuge der Marken Cadillac, Chevrolet, Opel, Oldsmobile, Pontiac, Ranger, Vauxhall und viele mehr vom Band. Müller hatte durch seine Anstrengungen Konkurrenten aus dem Feld geschlagen: Brown Boveri & Cie, sie hatte in Münchenstein (BL) ein Angebot; Die Firma Berna in Olten (SO) sowie die Fritz Marti AG in Zollikofen (BE).

Warum Biel? Die Stadt war bereit. Nach dem Börsencrash von 1929 hatte man viele Arbeitsplätze in der Uhrenindustrie verloren, da die Exporte stark zurückgingen. Die Fachkräfte waren noch da.

Eine zentrale Rolle spielte Guido Müller, der Bieler Stadtpräsident, wie ein hochinteressanter Artikel von Lea Haller in NZZ Geschichte darlegt. (Ausgabe Juli S.92ff.) Ein anschauliches Beispiel einer gelungenen Ansiedlungsstrategie, wie sie zum Kommunalmanagement gehört (vgl. Bild der Funktionen).

Müller telefonierte, er reiste, er lud zu Besichtigungen ein, er brachte seine Gemeinde dazu, einen Bau zu finanzieren für zwei Millionen Franken und erhielt Zuspruch von 5239 Stimmberechtigten. Nur 151 stimmten Nein. Müller war unermüdlich und erfolgreich. Das zeigt: Bei Ansiedlungen sind zwei Dinge zentral: Ein Kümmerer mit Kompetenzen (Chefsache!) und grosse Hartnäckigkeit. Biels Schicksal lag in seinen Händen. Manchmal kann ein Gemeindeammann wichtiger sein als ein Bundesrat.

Es braucht aber noch etwas. Die richtigen Rahmenbedingungen. Zum Hintergrund muss man wissen, wie das Auto-Thema damals reguliert war. In den 30er Jahren verfügte unser Land über eine Autoindustrie. Diese war geschützt. Autoimporte unterlagen hohen Zöllen und waren kontingentiert. Die Anzahl von Neuwagen, die importiert werden durfte, war begrenzt.  Protektionismus? Ja, natürlich. Wer hingegen aus dem Ausland kam und hier Autos zusammensetzte, wurde von Restriktionen befreit und erhielt im Gegenteil noch Subventionen, wenn er in einer bestehenden Fabrik zusammensetzen liess. Der Neubau im Biel passte eigentlich nicht in dieses Konzept. Denn da war keine bestehende Fabrik, sondern es gab einen Neubau. Doch eine Änderung der Rechtsgrundlage wiederum durch Drängen von Guido Müller ausgelöst, führte via Minister Walter Stucki zu einem Bundesratsbeschluss vom 29.11.1934 und wischte dieses Hindernis vom Tisch.

Der Wermutstropfen: Es waren wiederum geänderte Rahmenbedingungen, die der Autostadt Biel zum Verhängnis wurden. Ein Abkommen mit der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft von 1973 entzog der Automontage in der Schweiz die Existenzgrundlage. 1975 wurde das Werk in Biel geschlossen.

Netzwerken und Überzeugungsarbeit sind somit absolut notwendige Bedingungen für den Erfolg. Hinreichend sind sie aber nur dann, wenn sie in Verbindung mit den richtigen Rahmenbedingungen eingesetzt werden. Und es braucht einen Chef, der hier alle Fäden zieht.

(ps. Die Partei-Couleur spielt keine Rolle Guido Müller war Sozialdemokrat.)

Für die Autorin Lea Haller war die Story eine Herzensangelegenheit. “Ich habe selber fünf Jahre in Biel gelebt.”

Ihr

Bruno Hofer

Kommunal-Insider

14.07.2022