Es gibt Themen, die muss man ganz langsam angehen. Tempo 30 ist ein solcher Fall. Nicht, weil langsam fahren auch zu langsam schreiben führt, sondern einfach deshalb, weil man sich zuerst mal die Augen reiben muss. In was für einem Film bewegen wir uns da eigentlich? Um zu sehen, was ich meine, zuerst ein Blick zurück.

Richtig wuchtig lehnte nämlich das Schweizervolk am 13.03.2000 eine Volksinitiative zur flächendeckenden Einführung von Tempo 30 innerorts ab. 79,7 Prozent aller Stimmbürgerinnen und Stimmbürger oder mehr als zwei Millionen Stimmberechtigte aus allen Regionen und Gemeinden der Schweiz wollten nichts wissen von Verkehrsberuhigung und Lärmverminderung. Der Verkehrsclub der Schweiz (VCS) fuhr eine grosse Niederlage ein.

Heute, gut zwanzig Jahre später, ist Tempo 30 nicht nur in vielen Gemeinden Realität geworden, wie eine treffende Übersicht von Erich Aschwanden in der Neuen Zürcher Zeitung darlegt, nein: der Schweizerische Städteverband hebt die Forderung jetzt sogar prominent auf den Schild.

Anders Stokholm, ihr neuer Präsident, meint gegenüber der NZZ am Sonntag vom 18.12.2022, der Paradigmenwechsel sei nötig, weil immer mehr Menschen entlang der Verkehrsachsen leben und arbeiten.

In einem Positionspapier konstatiert der Städteverband, dass über eine Million Menschen in der Schweiz täglich übermässigem Verkehrslärm ausgesetzt sei und 90 Prozent davon in Städten und Agglomerationen leben. Dies führe zu Gesundheitsproblemen, Werteverlusten bei Immobilien und externen Kosten. Deshalb müsse Tempo 30 auf allen Strassen in den Städten zur Norm werden.

Der Wortlaut der Forderung lehnt sich in frappanter Weise an jenen der VCS-Initiative an, der da lautete: «Innerorts beträgt die generelle Höchstgeschwindigkeit 30 km/h.» Sie war keineswegs rigoros, denn sie enthielt eine grosszügige Ausnahmeklausel: «Die zuständige Behörde kann in begründeten Fällen Abweichungen verfügen». Dies insbesondere auf Hauptstrassen.

Wohlverstanden: Eine Volksinitiative wird vom Städteverband nicht lanciert. Vermutlich auch deshalb, weil das Parlament resp. der Ständerat Bestrebungen eine Absage erteilte, die Tempofragen innerorts auf Bundesebene hieven wollten. Ein Sieg für TCS und Co. ist das allerdings noch nicht. Denn der Bundesrat gab Forderungen nach Tempo 30 neulich Rückenwind. Im Gegensatz zu früher sei es ab 2023 nicht mehr nötig, vor Einführung von Tempo 30 in Wohnquartieren Gutachten zu produzieren.

(Bild Bruno Hofer with starryai)