«Aus dem Kosmos der innerschweizerischen Miniaturstaaten ragt Schwyz als ein Stand von beträchtlicher Ansehnlichkeit heraus». So beschreibt Fritz René Allemann in seinem Klassiker «25 mal die Schweiz» in den 70er Jahren den Urkanton am Vierwaldstättersee.

Ob mit der beträchtlichen Ansehnlichkeit auch die Strukturen des staatlichen Managements gemeint waren, bleibt offen. Was man aber sicher sagen kann, ist, dass der Kanton Schwyz diesbezüglich ein Sonderfall ist.

Hier wird nämlich im Regelfall nach Gesetz der Gemeindeschreiber genauso wie ein Gemeindepräsident vom Volk gewählt. Eine Praxis, der ich in anderen Kantonen bisher nirgends begegnet bin.

Sie trifft aber zu: Dies belegt beispielsweise die Webseite der Gemeinde Innerthal. Gemeindeschreiber Armin Mächler ist vom Volk gewählt und für eine vierjährige Amtsdauer im Amt. Seine Zuständigkeit erstreckt sich gemäss Gemeindewebseite über die folgenden Bereiche:

  • Geschäftsführung für den Gemeinderat und die Gemeindeversammlung
  • Mitarbeit und Aufsicht bei der Ermittlung von Wahl- und Abstimmungsergebnissen
  • Personelle und administrative Führung der Gemeindeverwaltung
  • Beratung und Information der Behörde in fachlichen und rechtlichen Belangen
  • Ansprechpartner der Bevölkerung für Anliegen und Probleme
  • Beglaubigungen von Unterschriften, Fotokopien und Protokollauszügen

Das Pflichtenheft ist somit recht umfassend und verantwortungsvoll. Ob dies die Begründung dafür ist, eine Volkswahl durchzuführen, bleibt offen. Doch wir können uns gut und gern mal ein paar mögliche Gründe für eine Volkswahl anschauen. Im Kanton Schwyz kannte man sei jeher nichts anderes. Der “achte” Gemeinderat war auch in einer Partei und von ihr portiert. 

Erstens ist in vielen Gemeinden der Gemeindeschreiber respektive die Gemeindeschreiberin eine Person, die für Kontinuität sorgt. Nicht wenige arbeiten ihr ganzes Berufsleben in einer solchen Position. Sie entwickeln nicht selten eine Machtfülle. Man könnte durchaus argumentieren, das müsse demokratisch legitimiert sein.

Zweitens ist die Jobsicherheit für einen Gemeindeschreiber nicht immer gewährleistet. So könnte es mitunter vorkommen, dass bei einem Chargiertenwechsel eine bewährte Führungskraft in der Verwaltung abgesetzt wird, obwohl sie gute Arbeit leistet. Das kann durch die Volkswahl verhindert werden. Der Schreiber, die Schreiberin als Vertretung des Volkes in der Gemeinde.

Und drittens ist der Gemeindeschreiber in den allermeisten Fällen im Vollpensum angestellt, überwacht einen breiten Bereich und hat auch Kompetenzen im Tagesgeschäft. Auch das gälte es zu honorieren durch eine erhöhte demokratische Legitimation.

Viertens geht es auch um einen Dialog auf Augenhöhe. Sind sowohl die Ratsmitglieder als auch der «Schreiber» vom Volk gewählt, geniessen beide einen entsprechenden Respekt voreinander.

Fünftens ist in der Öffentlichkeit in der Regel nur von den Gemeinderäten und Gemeinderätinnen die Rede. Der Gemeindeschreiber ist weniger bekannt. Da er aber im Alltagsgeschäft mit der Bewohnerschaft in aller Regel mehr zu tun hat als ein Mitglied der Exekutive, macht es Sinn, dass jene, die mit ihm zu tun haben werden, ihn von einem Urnengang her kennen und somit wählen können.

Sechstens muss auf der Ebene des Bundes der Schreiber oder die Schreiberin des Bundesrates, der Kanzler oder die Kanzlerin, die gleich hohe Legitimation ausweisen wie ein Bundesrat. Obwohl er letztlich nichts anderes ist als die Stabsstelle des Bundespräsidenten und im Gremium genauso wenig um ein Stimmrecht verfügt wie eine Gemeindeschreiber auf der kommunalen Ebene.

Viele Gründe dafür also.

So ist im Kanton Schwyz in Artikel 67 Absatz 1 des Gesetzes über die Organisation der Gemeinden und Bezirke im Kanton Schwyz festgelegt «Die Stimmberechtigten wählen den Gemeindeschreiber auf eine Amtsdauer von vier Jahren. Er ist wieder wählbar.» Er hat im Gemeinderat und in den weiteren Behörden und Kommissionen, deren Protokollführer ist, ein Antragsrecht und nimmt an den Beratungen teil.

Diese Regelung wurde jedoch 2018 revidiert. Es scheinen sich Argumente gegen eine Volkswahl zumindest teilweise durchgesetzt zu haben. Davon zähle ich hier einige auf.

Erstens gibt es eine Trennung zwischen Politik und Verwaltung, wie sie auf den allermeisten Gemeinde-Webseiten abgebildet ist. Eine Trennung wirkt sich auch auf die Wahlmodalitäten aus.

Zweitens sind Funktionäre in der Verwaltung ausführende Organe. Sie nehmen die Direktiven der Politik entgegen und führen sie aus und stehen somit also nicht auf derselben Stufe. Sie wirken nicht entlang einer Parteirichtlinie, denn diese sollte bei der Ausführung von gesetzlichen Vorgaben keine Rolle spielen.

Drittens soll deren Handeln nicht dazu führen, dass sie selber dafür politisch Verantwortung tragen müssen. Die Politik bestimmt die Leitlinien, die der Gemeindeschreiber ausführen muss. Je nach Projekt kann dies heikel werden. Das Volk könnte im Extremfall den Gemeindeschreiber «opfern», die amtierenden Politiker aber schonen. Oder umgekehrt.

Viertens könnte man auch argumentieren, man müsse den Finanzvorstand ebenfalls vom Volk wählen lassen, denn im Grunde hat auch er eine wichtige Rolle und Funktion und entsprechende Macht. Davon ist meines Wissens aber nirgends die Rede.

Fünftens könnte eine Abwahl an der Urne ein Vacuum schaffen. Eine Nachfolge müsste ja zuerst rekrutiert und aufgebaut werden. Ein Wechsel an der Spitze der Politik ist leichter zu verkraften als einer auf Verwaltungsebene, wo es um viel Know How im Alltagsgeschäft geht.

Und sechstens kann es natürlich vorkommen, dass ein Amtsinhaber in einer Volkswahl bestritten wird und seine Wahl und damit auch gleich noch seine Arbeitsstelle verliert. So geschehen in den 60er Jahren in der Gemeinde Unteriberg. Andere Arbeitsnehmer jedoch müssen ihre Arbeitsleistung nicht in einer Volkswahl rechtfertigen, was somit einen Systembruch darstellt.

Siebtens ist beispielsweise der Staatsschreiber des Kantons Aargau – wie wohl viele andere auch – nicht vom Volk gewählt. Er erhält seine Aufträge von der Regierung und wird von ihr bestimmt.

Und achtens ist es ohnehin schwierig, geeignete Kandidierende für Ämter in Gemeinden zu finden. Meldet sich jemand in ungekündigter Stellung, was in vielen anderen Fällen ja der Fall ist, wird sein Veränderungswunsch beim bisherigen Arbeitgeber ruchbar. 

Wohl nicht zuletzt aus all diesen Gründen gilt seit 2018 ein neuer Gesetzesartikel: Art. 67 Absatz 2 postuliert eine Delegation: «Sie (Die Gemeinden) können diese Befugnis (Wahl des Gemeindeschreibers) dem Gemeinderat übertragen, der den Gemeindeschreiber mi öffentlichem Vertrag anstellen kann.»

Die oben erwähnte Regelung ist somit seit wenigen Jahren gelockert.

Seit Inkrafttreten der neuen Bestimmung haben bereits sechs von 30 Schwyzer Gemeinden davon Gebrauch gemacht. Es sind dies Alpthal, Arth, Feusisberg, Ingenbohl, Unteriberg und Wollerau. Am letzten Abstimmungswochenende vom 13.02.2022 sind neu zwei weitere Gemeinden hinzugekommen: Oberiberg und Morschach.

Fazit: Personen auf Gemeindeschreiberposten haben erfahrungsgemäss einen relativ grossen Einfluss. Das hat Vor- und Nachteile. Zum einen sind sie Garanten für Stabilität und Sicherheit im Verwaltungshandeln. Anderseits kann deren Erfahrungs- und Wissensvorsprung Veränderungen beeinträchtigen, die von der politischen Exekutive angeschoben werden wollen. Von da her ist eigentlich die Frage, ob der Gemeindeschreiber eine höhere Legitimität durch eine Volkswahl erhalten sollte, berechtigt. Die Diskussion über eine Volkswahl ist somit gerechtfertigt.

Ihr

Bruno Hofer

08.03.2022