Gegen die Milizmuffelei könnten auch die Unternehmer etwas unternehmen. Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie der Fachhochschule Graubünden. 

Dass die Gemeinden immer weniger Menschen finden, die Verantwortung übernehmen wollen, sprich: sich für ein Amt zur Verfügung stellen mögen, hänge unter anderem auch damit zusammen, dass die Firmen in der Schweiz sie zu wenig dazu ermutigen, ihnen zu wenig Freiraum bieten und ihnen zu wenig entgegenkommen bei den Arbeitsbedingungen. Sind jetzt also die Firmen schuld? Nein, meint Andreas Müller, selbständiger Politberater und Mit-Autor der Studie. “Wir untersuchten einfach einen Aspekt, der noch nicht wirklich untersucht wurde. Wir sagen nicht, die Unternehmen seien “schuld”, sondern haben uns gefragt, was könnten die Unternehmen konkret tun? Und was tun sie im Moment?”. 

Wer sich in einem Amt engagiere, dem falle es nicht immer leicht, dies mit seinem Berufsleben zu vereinbaren. Sitzungen für Gemeinderäte fänden oft tagsüber statt, dann, wenn man eigentlich für seinen Arbeitgeber produktiv sein sollte. Zudem nimmt der Arbeitsaufwand zu, wenn die Ansprüche an Professionalität für Kommunalpolitiker steigen. Verlangt wird deshalb mehr Zeitflexibilität seitens der Unternehmungen. 

In der Studie wurden 2000 kommunale Mandatsträger und 500 Unternehmen zum Thema befragt.

«Vielfach scheitert das Ausüben eines politischen Milizamtes an der mangelnden Möglichkeit, das Amt mit dem Beruf zu vereinbaren» urteilt Andreas Müller. Deshalb seien Selbständigerwerbende in solchen Ämtern klar übervertreten. Das mag etwas für sich haben. Dürfte aber auch mit dem Zubrot zusammenhängen, das ein solches Mandat bringt.

Aktuell bekundet jede zweite der rund 2000 Schweizer Gemeinden Mühe, für Mandatsträger Nachfolgeregelungen zu realisieren. Die Studie fordert nun die Firmen auf, kulanter zu sein. Die SBB ging bereits voran. 15 Ferientage erhält, wer sich in einem Milizamt engagiert. 

Einen völlig anderen Vorschlag, die Milizmuffelei zu beseitigen, hat der Aargauer Daniel Balmer, Grüner Politiker in der Stadt Aarau, aufs Tapet gebracht.

Die Stadt Aarau hat ein Parlament, den Einwohnerrat. Dieser besteht aus 50 Mitgliedern und wird alle vier Jahre neu gewählt. Massgebend ist eine gesetzliche Grundlage, das «Geschäftsreglement des Einwohnerrates der Stadt Aarau». Ganz zuhinterst in dem über 30 Paragrafen umfassenden Dokument, In der Rubrik «Schlussbestimmungen» ist das Sitzungsgeld geregelt. Dort steht allerdings nur, in welcher Art und Weise es bestimmt wird. Es sei der Einwohnerrat, der die Höhe festlege. Und diese liegt aktuell bei CHF 80.- pro Sitzung. Davon gibt es jährlich etwa 10 Stück.

Daniel Ballmer, Einwohnerrat der Grünen Partei, will hier eine Änderung. «Fehlen Arbeiterkinder in einem Skilager, verpassen sie bloss das Skilager. Fehlen Arbeiter*innen jahrzehntelang in der Politik, verpassen sie fast jede Gelegenheit, ihre Chancen in der Gesellschaft zu verbessern.» Ebenso wenig dürfe Politik heute ein Ehrenamt sein. Der Begriff stamme aus einer Zeit, in der wir von Adel und Kirche regiert wurden, von «gnädigen Herren» oder eben «Ehrenmännern». Mit Demokratie habe das nichts zu tun. «Trotzdem verwenden wir ihn nicht nur weiter, wir handeln sogar danach. Wir nominieren und wählen vor allem Menschen, die bereits zu Ehren gekommen sind – nicht mehr durch Adelstitel oder Priesterweihe, aber durch Bildung, Geld oder Berühmtheit.» Die ärmere Hälfte unserer Gesellschaft sei in unseren Parlamenten und Exekutiven genauso untervertreten wie die Hälfte ohne höheren Bildungsabschluss. Stattdessen sitzen dort vor allem privilegierte Menschen, Menschen wie ich», meint Ballmer. Der neue Adel sei deutlich grösser und etwas durchlässiger als der Alte. Und er lasse die eine oder andere Aufsteigerin mit am Tisch sitzen, um sagen zu können: «Schaut her, die sind ja auch dabei». Aber Adel bleibt Adel, und genau wie das Ehrenamt gehört der Adel in die Mülltonne der Weltgeschichte.

«Es ist für eine Demokratie überlebenswichtig, dass nicht nur jene von uns mitentscheiden können, die vom bisherigen System profitiert haben. Dass die Reichen reicher werden und die Armen arm bleiben, dass Studierende zunehmend aus wohlhabendem Hause stammen und dass für einen gut bezahlten Job immer öfter ein Studium benötigt wird – all dies sind Tendenzen, die ein Parlament aus Reichen und Studierten eher fördert als bekämpft. Ungerechtigkeiten in der Politik verstärken Ungerechtigkeiten in jedem Bereich der Gesellschaft.

 

Um eine Wende zu schaffen, hat Ballmer eine Motion im Aarauer Stadtparlament eingereicht. Forderung: «Es wird ein neues Reglement zur Entschädigung und Bildung der Einwohnerratsmitglieder erarbeitet. Dabei werden mindestens folgende Punkte mit einbezogen: 

  • Einführungskurse werden angeboten und entschädigt
  • Regelung der Kostenübernahme bei Weiterbildungen im Amt
  • Rückerstattung von Betreuungskosten, die aus der Amtstätigkeit entstehen
  • Stipendien für Ratsmitglieder mit tiefem Einkommen
  • parteiunabhängige Informationsanlässe für Menschen, die sich für eine Kandidatur interessieren.

Ob man damit die grassierende Miliumuffelei wird beseitigen können, steht auf einem anderen Blatt. Er will verhindern, dass die Selbständigerwerbenden übervertreten bleiben in Milizämtern und unsere politische Zukunft auf kommunaler Ebene bestimmt wird von einem Segment der Bevölkerung, das nicht das Gesamte repräsentiert.

 

Um die Milizmuffelei zu beseitigen ist sicherlich und ganz offenbar ein bunter Strauss an Massnahmen nötig. Sicher können Unternehmungen auch etwas dazu beitragen. Nicht selten führt es aber dazu, dass gewisse Firmen jene Milizler unterstützen, die ihnen Vorteile verschaffen. Es ist wie bei vielem ein zweischneidiges Schwert: Nicht selten ist ein Inhaber einer Baugeschäfts oder sein Mitarbeiter in einem Gemeinderat dabei. Das schafft einen Informationsvorsprung.

Man ruft nicht selten nach mehr Unternehmerschaft in der Politik. Das unternehmerische Denken müsse mehr Raum erhalten in der Politik. Umgekehrt bedeutet das aber nicht selten auch, dass spezifische Unternehmerinteressen in der Akquise oder der legislatorischen Beeinflussung die Folge sind.

Eine Demokratie muss leben können damit. Wichtig ist die Transparenz.

 

Ihr

Bruno Hofer

15.11.2021