Zerrissene Schweiz

08.07.2025 – Gemeinden mit Parlamenten sind in der Romandie und im Tessin viel häufiger als in der Deutschschweiz. Dies zeigt eine Untersuchung des Politikwissenschafters Michael Strebel. Die Hälfte aller Menschen in der Schweiz lebe – so Strebel in einem Artikel in der NZZ am Sonntag – in einer Gemeinde mit einem Parlament.  Während nur knapp sechs Prozent aller Gemeinden in der Deutschschweiz über Parlamente verfügen, sind es in der Romandie fast 50 Prozent und in der italienischsprachigen Region über 80.

Für Neuenburg ist der Fall ja klar. In diesem Kanton ist zwingend vorgeschrieben, dass jede Gemeinde ein Parlament haben muss. So hat Boudry 41 Mitglieder. Bei rund 6000 Einwohnerinnen und Einwohnern.

Dies dürfte den Unterschied aber noch nicht erklären. Weshalb ist es so, dass in der Deutschschweiz der Anteil so viel geringer ist? Der Unterschied ist ja sehr erstaunlich, wie der Zeitungsartikel treffend aufzeigt.

Michael Strebel meint auf Anfrage dieses Newsletters, es hänge unter anderem auch damit zusammen, dass die gesetzlichen Grundlagen in der französischsprachigen Schweiz viel früher geschaffen wurden. «Hier begann die Geschichte der kommunalen Parlamente im Schnitt rund ein Jahrhundert früher.» In der Deutschschweiz gelte der Grundsatz, die Gemeindeversammlung sei die Urform und das Ideal der politischen Mitwirkung.

Irgendwie nachvollziehbar. Es gab und gibt ja auch keine französischsprechenden Kantone, die eine Landsgemeinde haben oder hatten.

Was besser ist, hängt zudem von der Sichtweise ab. Denn hinter beiden Formen steht das Argument der Partizipation zu Gevatter. Die einen sagen, nur mit einem Parlament sei das richtig möglich, während die anderen auf eine Volksversammlung schwören.

Sind aber eigentlich Gemeinden mit Parlamenten erfolgreicher unterwegs? Beispielsweise gemessen an ihrer finanziellen Entwicklung oder gemessen an ihrer Rangierung im Gemeinderating?

Michael Strebel hat es in Bezug auf die finanzielle Entwicklung für den Kanton Zürich untersucht. Und dabei keine Unterschiede festgestellt. Von damals 160 Gemeinden lagen 94 über dem durchschnittlichen Steuerfuss (davon hatten 8 ein Parlament) und 66 darunter (5 mit Parlament). «Statistisch lag hier kein Unterschied vor.»

Wie wird die Qualität der Demokratie gemessen? Ist eine Gemeindeversammlung, ein Urnengang oder ein Parlament besser?

Interessante Fragestellungen! 

Mir scheint es aber noch wichtig, zu überlegen, mit welchem Prozess welches Problem in einer Gemeinde zu lösen wäre. Man könnte auch votieren für eine nicht institutionalisierte Form von Einbezugsmodell, das nicht erst dann einsetzt, wenn eine gefundene Lösung in einer Informationsveranstaltung präsentiert wird. Evtl. wäre es sinnvoll, in bestimmten Fällen eine Co-Creation zu versuchen, die Bevölkerung also frühzeitig in die Gestaltung einer Problemlösung einzubeziehen. Erstens würde die Bevölkerung sich besser gehört fühlen und anderseits fände auch ein informierterer Urnengang statt. Untersuchungen haben nämlich ergeben, dass sehr viele Leute über etwas abstimmten, von dessen Inhalt sie höchstens teilweise etwas verstanden hatten. Zudem wird durch einen frühen Einbezug auch die Arbeit der Exekutive erleichtert.