Ennetbaden, 17.03.2025 – Es geht um eine kleine Gruppe von Menschen in der Schweiz. Rund 4000 sind es an der Zahl. Bei über 8 Mio Einwohnerinnen und Einwohnern sind das 0,05 Prozent. Dennoch sind viele Gemeinden verunsichert und gefordert. Wegen den Staatsverweigerern.
Am Thuner Politforum, über das ich berichtet hatte, war es ein Thema. Statistiken zeigen zwar, dass in der Schweiz das Vertrauen in die Behörden durchaus noch gefestigter ist als an vielen Orten im Ausland. Dennoch gibt es auch hierzulande Staatsverdrossene, die sich einer Bewegung anschliessen. Ich habe darüber mit Julia Sulzmann gesprochen. Julia Sulzmann hat die stellvertretende Leitung bei Relinfo inne, eine kirchlichen Fachstelle für Religionen, Sekten und Weltanschauungen. Julia Sulzmann hielt dazu ein Referat am Politforum. Im anschliessenden Interview geht es jetzt um Begriffe, Ausprägungen und Möglichkeiten in Gemeinden, darauf zu reagieren.
Frau Sulzmann, was sind Staatsverweigerer?
Julia Sulzmann: Zur Szene der Staatsverweigerung zählen Menschen mit verschiedenen Überzeugungen. Gemeinsam ist ihnen die Ansicht, dass der Schweizer Staat nicht legitim ist und sie sich deshalb der Schweiz gegenüber zu nichts verpflichtet fühlen, nicht zu Steuern, Abgaben oder Bussen. Diese Menschen werden «Staatsverweigerer» oder Staatsverweigernde genannt, weil sie sich dem Staat verweigern.
In welchen Segmenten der Bevölkerung kommen Staatsverweigerer oft vor?
Staatsverweigerung ist kein Jugendphänomen. Bei Vorträgen und in entsprechenden Online-Foren versammeln sich mehrheitlich Männer, die sich in der Mitte des Lebens befinden oder diese bereits überschritten haben. Gleichwohl gibt es einige Frauen in der Bewegung, von denen immer wieder einzelne bei öffentlichkeitswirksamen Aktionen mitwirken. Typischerweise gehören Staatsverweigernde einem mittleren bis unteren Bildungsniveau sowie Einkommen an, wobei auch hier Ausnahmen die Regel bestätigen.
Was können aus Ihrer Erfahrung Auslöser dafür sein, dass jemand zu einem Staatsverweigerer wird?
Staatsverweigernde äussern häufig schon seit langem Kritik an bestehenden staatlichen Strukturen. Sie berichten oft über ein einschneidendes Erlebnis, das zur Abkehr von staatlichen Strukturen geführt hat (z.B. Jobverlust). Hat man viel Zeit oder ist einsam, kann der Radikalisierungsprozess befeuert werden. Bei einigen kann ein zugrundliegendes Problem zur Staatsverweigerung führen (z.B. soziale Isolation).

Sie haben in Ihrem Vortrag auf verschiedene Ausprägungen von Staatsverweigerern hingewiesen. Welche Stufen gibt es und wo kommen am meisten vor?
Es existieren verschiedene Ausprägungen der Staatsverweigerung. Während einige lediglich in Telegramgruppen aktiv sind und sich mit einem Doppelpunkt vor dem Vor- und Nachnamen als Staatsverweigernde kennzeichnen, gehen andere in die Handlung. Ein typischer erster Schritt ist, die Serafe Gebühren nicht mehr zu zahlen. Eine Minderheit der Menschen aus der Szene verweigert dann so gut wie alles: Steuern, Abgaben, Bussen. Dass so weit nur sehr wenige der circa 4000 Szenenangehörigen gehen, hat den plausiblen Grund, dass dadurch Existenzen bedroht werden.
Was raten Sie Gemeinden im Umgang mit Staatsverweigerern?
Mittlerweile gibt es von verschiedenen Stellen gute Informationen zum Umgang mit Staatsverweigernden. Mitarbeitende von Behörden und Gemeinden sollten für den Umgang geschult werden, damit sie in keine unangenehmen oder gar bedrohlichen Situationen geraten. Selbstschutz geht immer vor.
Sie arbeiten bei Relinfo, einer kirchlichen Fachstelle für Religionen, Sekten und Weltanschauungen. Sind Staatsverweigerer eine Sekte? Eine Glaubensgemeinschaft?
Weder noch. Häufig bestehen zwar wegen der Nähe zu den Post-Corona Bewegungen Bezüge zur Esoterik, aber von religiösen Strukturen – bzw. Strukturen im Allgemeinen – kann man nicht sprechen.
Haben Sie ganz persönlich schon einmal Kontakt zu Staatsverweigerern gehabt?
Selbstverständlich. Der Kern der Arbeit bei Relinfo ist die Recherche zu Bewegungen und Gemeinschaften vor Ort.
Sind Staatsverweigerer nicht ganz einfach Menschen, die psychische Probleme haben und nicht mehr aus noch ein wissen?
Kein Mensch verweigert zum Spass den Staat – zumindest nicht, wenn tatsächliche Handlungen folgen. Gleichwohl werden viele der Probleme von Staatsverweigernden (rechtlich, finanziell, sozial) von ihnen selbst erschaffen.


Vielen Dank für dieses Gespräch.

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