Riniken, 23.06.2024 – «Nur Bares ist Wahres», sagt der Volksmund. In leicht abgeänderter Form bringt aber jetzt die Gemeinde Baar auch Wahrheiten auf den Tisch und erst noch in alle Haushaltungen. In 13500-facher Ausführung. Doch beginnen wir von vorn:
Gemeinden haben viele Aufgaben. Eine besteht darin, dafür zu sorgen, dass ihre Einwohnerschaft im Bild ist über alles, was die Exekutive plant und umsetzen will. Früher konnte sie sich darauf verlassen, dass die Lokalzeitung sich dafür interessierte und über Neues berichtete. Diese Gewissheit ist Geschichte.
Denn das Medienwesen ist im Umbruch. Zeitung um Zeitung stellt ihr Erscheinen ein. Neulich traf es eine Publikation in der Innerschweiz. In und für die Gemeinde Baar im Kanton Zug hatte 117 Jahre lang zuverlässig der Zugerbieter berichtet. Ende letzten Jahres stellte er sein Erscheinen ein. Was sollte Baar tun?
Guter Rat ist teuer. Aber Baar verfügt über die Mittel. Sie liegt im Gemeinderating der Firma IAZI auf Rang 1 in der Kategorie «Steuern». Steuerbares Einkommen im Durchschnitt über CHF 100’000.
Wenn die Dorfbeiz stirbt, werden ja viele Gemeinden selber zu Hoteliers oder Restaurateuren, Ordnungspolitik hin oder her. Mit unterschiedlichem Erfolg. Baar beschloss nun, ins Verlegerbusiness einzusteigen, weil die Lokalpostille unterging. Man gründete selber eine Zeitung. Am 5. Juni 2024 erschien die erste Ausgabe der neuen «Baarer Zytig». Alle vierzehn Tage soll das Blatt von nun an in alle Baarer Haushalte verteilt werden. Auflage: 13500.
Das Konzept der Zeitung ist zweiteilig. Es besteht aus einem offiziellen Teil als amtliches Publikationsorgan und zweitens einem redaktionellen Teil mit Freiheit für die Journalistinnen. Ein Redaktionsstatut legt diese Unabhängigkeit ausdrücklich fest. Die Journalisten sind denn auch nicht bei der Gemeinde angestellt.
Gedruckt wird die Zeitung vom der Anzeiger Oberfreiamt AG in Sins im Kanton Aargau. Die Kosten für die Publikation «Baarer Zytig» sind auf jährlich rund CHF 400’000 veranschlagt, wie Walter Lipp, Gemeindepräsident von Baar, gegenüber SRF bestätigt. Das ist zweimal so viel als bisher die Gemeinde für den «Zugerbieter» ausgegeben hatte. Allerdings wird mit Inserateeinnahmen im Umfang von einigen zehntausend Franken gerechnet. Nichtsdestotrotz dürfte es eine kostspieligere Lösung sein als ein «Gemeindeblättli» herauszugeben und in alle Haushalte zu verteilen.
Zudem stellt sich die Frage der Pressefreiheit. In einem im Schweizer Medienmagazin Edito (leider ohne Datumsangabe) zitierten Interview mit dem Winterthurer Landboten sprach sich Christoph Blocher unlängst dagegen aus, dass staatliche Medienförderung geschieht. «Wenn der Staat zahlt, befiehlt er auch.»
Doch was sagt die Wissenschaft dazu? Ist das noch unabhängiger Lokaljournalismus? Soll, darf, muss eine Gemeinde eingreifen mit eigenen Massnahmen, wenn eine Lokalzeitung aufgeben muss?
Die Frage geht an Johanna Burger, Medien- und Kommunikationswissenschafterin der Fachhochschule Graubünden. Sie meint, Untersuchungen hätten gezeigt, dass es dort, wo Lokalmedien fehlten, zu mehr Korruption komme. Auch finde eine stärkere Polarisierung der Meinungen statt, oder das Interesse an politischen Themen und Abstimmungen nehme ganz grundsätzlich ab. Deshalb erachtet Johanna Burger das Baarer-Modell als «spannend», wie sie dem Schweizer Radio in einem Interview sagt.
In der Tat haben auch andernorts Gemeinden bereits vertragliche Vereinbarungen mit Lokalzeitungen abgeschlossen. So hat etwa Ebikon als Vorort von Luzern beispielsweise mit dem privat herausgegebenen «Rontaler» einen Vertrag geschlossen, der die Zeitung mit einer bezahlten Doppelseite alimentiert. Hier publiziert die Gemeinde ihre amtlichen Informationen und spart sich so das gedruckte Gemeindeblatt, das früher in alle Haushaltungen verteilt worden war. Das übernimmt heute der Rontaler. Zudem werden die Ebikoner Informationen in der ganzen Talschaft des Rontals verbreitet, da die Zeitung ein Streugebiet mit rund 20’000 umfasst und von Teilen der Stadt Luzern bis zu Gemeinden wie Meierskappel reicht.
Ist das nachahmenswert? Ich denke man muss es rechnen. Sicher ist, dass Gemeinden die Pflicht haben, zu informieren. Anderseits müssen sie das Geld der Steuerzahlenden sinnvoll und wirtschaftlich einsetzen. Und drittens gilt es, die Grenze zwischen der Medienwelt einerseits als vierte Gewalt im Staat und den vom Volk gewählten Behörden zu beachten.
Der Niedergang der Lokalpresse erfordert neue Ideen. Baar und auch Ebikon zeigen, dass es Mittel und Wege gibt, die auch andernorts Schule machen könnten.
Bleibt zu hoffen, dass das Experiment gelingt. Garantien dafür gibt es keine. Ein Beispiel in Maur im Kanton Zürich spricht eine andere Sprache. Allerdings sind dort die Journalisten von der Gemeinde angestellt.
Auch die Stadt Luzern will notabene eine eigene Zeitung finanzieren.