Wer in Adelboden ein Ferienhäuschen oder eine Wohnung hat und aus Bern kommend am Freitagabend hochfährt, soll nicht auf dem Weg dorthin in einem Super-Markt halt machen, sondern es so einrichten, dass die benötigten Lebensmittel bei seiner Ankunft vor der Tür stehen. Das schafft ein neues Projekt, das Pilotcharakter hat. Möglich wurde die Lösung durch das Zusammenspiel in einer umfassenden Partnerschaft, wie Noé Blancpain vom Projektteam auf Anfrage erläutert. Blancpain ist zudem Geschäftsführer von Myni Gmeind.

Herr Blancpain, Was steckt eigentlich hinter der Idee dieser digitalen Dorfstrasse?

Die Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden haben sich verändert: Sie sind es sich gewohnt, Waren und Dienstleistungen jederzeit online zu bestellen und den Zeitpunkt, den Ort und die Art des Bezugs selbst zu bestimmen. Den Anspruch auf Flexibilität nehmen sie natürlich auch in die Ferien mit. Die Digitale Dorfstrasse bietet ihnen genau das: Ausgesuchte Lebensmittel-Spezialitäten aus der Region können zukünftig jederzeit online bestellt und per Hauslieferung, bis spätabends in einer neu entstehenden lokalen Genusswelt oder Tag und Nacht in einer Abholbox bezogen werden. Später wird das Angebot auf Dienstleistungen ausgeweitet, z.B. Videoberatung für die Buchung von Ferien in Adelboden. Gewerbe und Tourismus in Adelboden reagieren also mit der Gemeinde und Myni Gmeind als starken Partnern auf die Herausforderung, aber auch die Chance, welche die Digitalisierung darstellt.

Welche Rolle spielt dabei «Myni Gmeind»?

Adelboden und Myni Gmeind arbeiten bereits zweieinhalb Jahre zusammen und haben schon mehrere Digitalisierungsprojekte verwirklicht. Die Akteure im Dorf sind mit riesigem Engagement dabei – aber sie können ein anspruchsvolles Projekt wie die Digitale Dorfstrasse neben ihrer beruflichen Alltagsarbeit nicht nebenbei noch stemmen. Der Verein bringt sein Wissen ein und übernimmt für die Trägerschaft, die IG Dorf, das Projektmanagement.

Welches sind die Schlüsselfaktoren dafür, dass dieses Projekt zu einem Erfolg wird?

Alle wichtigen Gruppen im Dorf müssen dahinterstehen – das ist in Adelboden der Fall: Vom Gemeinderat, der das Projekt am Anfang auch finanziell unterstützt hat, über die Gemeindeverwaltung, das Gewerbe den Tourismus. Nur so gibt es echte Kooperationen, denn es werden die Chancen im Zusammenspannen gesucht, statt dass jeder zuerst für sich schaut. Ein dritter wichtiger Punkt ist, das Projekt von Beginn weg professionell aufzuziehen. Einfach mal versuchen, führt zum Frust.


Wer hat welchen Nutzen aus diesem Projekt? 

An erster Stelle stehen die Kundinnen und Kunden – sowohl Gäste wie Einheimische. Zum Beispiel kann eine Zweiwohnungsbesitzerin auch bei einer Anreise am späten Freitagabend noch vom frischen, lokalen Angebot profitieren. Die jungen Mountainbiker, die am Samstag eine lange Tour machten, können nach Sonnenuntergang noch die Zutaten für ein warmes Abendessen in ihrer Ferienwohnung einkaufen. Und einheimische Tourismus-Mitarbeitende können sich zu Randzeiten mit Lebensmitteln versorgen. Für das lokale und regionale Gewerbe schafft die Kooperation neue Wertschöpfungsmöglichkeiten: Statt dass Gäste in den Tankstellenshops auf der Einreise einkaufen, bleibt der Ertrag in Adelboden. Das hilft, Arbeitsplätze zu sichern. Darüber hinaus stärkt die Digitale Dorfstrasse die Attraktivität als Tourismusmusdestination. Es profitiert als die ganze Gemeinde.

Wie ist die Finanzierung geregelt?
Im Spätsommer 2020 sprach der Adelbodner Gemeinderat 10’000 Franken für die Ausarbeitung des Antrags für ein Projekt der Neuen Regionalpolitik (NRP). Dieser war erfolgreich: Der Kanton Bern bewilligte einen ersten à-fonds-perdu-Beitrag für die Ausarbeitung einer Machbarkeitsstudie. Diese erarbeiteten die Akteure im Dorf gemeinsam mit Myni Gmeind im ersten Halbjahr 2021. Darauf legten wir der Berner Standortförderung ein weiteres Gesuch für das NRP-Umsetzungsprojekt an, das im August bewilligt wurde. Wir sind dem Kanton Bern und dem Bund, die sich finanziell hälftig beteiligen, enorm dankbar: Ohne diese Unterstützung hätten die Mittel kaum zusammengetragen werden können. Neben der Projektarbeit fallen Investitionen für Webseite und Webshop sowie für eine Abholbox-Infrastruktur an. Im Betrieb ab Dezember muss die Digitale Dorfstrasse dann selbsttragend und rentabel sein.

Besteht die Absicht hier ein Vorzeigeprojekt zu gestalten das in anderen Landesteilen zur Anwendung kommt?

Ja, wenn das Projekt den erhofften Erfolg hat, sollen andere Gemeinden und Tourismus-Destinationen natürlich von den gemachten Erfahrungen und der grossen Vorarbeit profitieren. Geplant ist, mit weiteren Orten im Berner Oberland eine Umsetzung zu prüfen. Aber auch aus anderen Regionen im ganzen Land wurde schon Interesse geäussert.

Ist das Projekt befristet oder auf unbestimmte Zeit angelegt?

Die Digitale Dorfstrasse in Adelboden soll eine dauerhafte Ergänzung zum bisherigen Angebot sein.

 

Interview Bruno Hofer

20.09.2021