Die schönste Zeit für einen Bundesrat sei – so gestand es einmal Otto Stich – die paar Tage zwischen der Wahl und dem Amtsantritt. Da werde man gefeiert und alle hätten Hoffnung, dass nun mit ihm alles besser werde. Was nachher komme, sei stressig, intensiv, mühsam und undankbar. Man weiss, dass Otto Stich nach jeder Niederlage im Parlament oder jedem Frust, den er erlitt, sich mit dem Kauf einer neuen Pfeife wieder beruhigte.

 

Der erwartungsgemäss im ersten Wahlgang gewählte Albert Rösti ist jetzt auch auf Wolke sieben des Honigmondes angelangt. Es sei ihm von Herzen gegönnt und es sei ihm geraten, es in vollen Zügen zu geniessen. Denn es kommt auch für ihn nicht besser.

 

Der Staat Schweiz teilt einem Bundesrat keine allzugrosse Machtfülle zu, wie Adrian Vatter, Politologieprofessor, in seinem neuen Buch nachzeichnet. In keiner anderen vergleichbaren staatlichen Institution hat die Regierung so wenig zu sagen wie hier in der Schweiz. Im Vergleich zum Parlament. Von allen 24 OECD-Ländern rangiert der Schweizer Bundesrat weit abgeschlagen am Schluss. Im Verhältnis zur Legislative haben unsere Landesväter und -Mütter sozusagen gar nichts zu sagen. Nirgendwo ist das Parlament mit seinen Befugnissen derart vorteilhaft bestückt wie hierzulande. Starke formale Befugnisse bestimmen das Bild. Agendakontrollrechte auf exekutiver Ebene sind formell jedenfalls nur schwach ausgestaltet. Das Parlament bestimmt, wann worüber debattiert wird. Auch wenn es aufgrund des wenig durchprofessionalisierten Parlaments in der Praxis dann doch zu viel realem Einfluss der Stufe Bundesrat kommt (wie es die Corona-Pandemie drastisch vor Augen führte), hängt dies weniger mit der Macht des institutionellen Rahmens zusammen als vielmehr mit der Macht des Faktischen. Die Schweiz hat eine sehr starke Verwaltung.

Wenn nun mit Albert Rösti ein Gemeindeammann an die Landesspitze aufrückt, so heisst das zwar, dass die kommunale Ebene noch immer ein gutes Sprungbrett zu höheren Weihen sein kann. Allerdings wird Rösti auch bald spüren, dass Regieren in Uetendorf unbeschwerter war als das Umgehen mit engsten Handlungsspielräumen in einem Siebnergremium. Als Gemeindeammann hat man etwas zu sagen. Alle Augen richten sich auf einen. Man ist exponiert. Wo etwas stört, wendet man sich an den Herrn oder die Frau Gemeindeammann. Rösti hat in Uetendorf denn auch eine clevere Führungsstruktur aufgebaut. Anders als dies viele Gemeinden tun, hat in Uetendorf der Präsident zwischen sich, der Verwaltung und dem Gremium des Gemeinderates eine Geschäftsleitung eingeschaltet. Sie bestand aus ihm, dem Präsidenten, dem Gemeindeschreiber und – und das ist bezeichnend – dem Leiter der Finanzen – aber nicht dem dafür zuständigen Gemeinderat, sondern der Verwaltungsperson.

Das Führungstrio hat sich jedoch gut bewährt. Dem Vernehmen nach genoss Rösti in Uetendorf weitherum – von der Linken abgesehen – ein hohes positives Renomée.

Im Bundesrat wird er Erfahrung beim Führen brauchen können. Er muss ja auch einen Laden schmeissen, wie ich hier vor kurzem im Detail erörtert hatte. Mit Albert Rösti steht zu erwarten, dass er mit einem erweiterten Referentenstab führen wird und nicht direkt die Amtsdirektoren der Linie anspricht. Dies lässt sich aufgrund seines Führungsmodells in Uetendorf rückschliessen. Solche Referentenstäbe haben sich in den letzten Jahrzehnten allmählich mehr und mehr durchgesetzt. Sie sind auch eine Art Talentschuppen für spätere Führungskräfte auf höchster Ebene. An dieser Stelle nur zwei Beispiele: Der heutige EDA-Generalsekretär Markus Seiler begann einmal als Referent bei Bundesrat Kaspar Villiger im Finanzdepartement. Der ehemalige Staatssekretär Yves Rossier war früher einmal bei Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz für Sozialfragen zuständig.

Jedenfalls darf man sicher sein, dass mit Albert Rösti jemand ins Amt kommt, der – trotz den Schwierigkeiten bei der Führung des Milchverbandes – etwas von strukturierter Führung versteht.

Und das ist, was auch auf Gemeindeebene zählt. Mein Credo ist und bleibt, dass Standortförderung Chefsache ist. Und genauso ist die Schweiz ein Standort, der gefördert werden muss. Diese Zielsetzung steht über allem. Und sie geht über das Verwalten im Tagesgeschäft hinaus.

So wird geschicktes Fordern und Führen matchentscheidend dafür sein, wie gut Röstis Position in den Annalen des Bundesrates sein wird. Allerdings: Geschenke verteilen wird er auch als Bundesrat noch können. Die letzte Amtshandlung in Uetendorf bestand ja in der Übergabe je einer grossen Toblerone für zwei eingebürgerte Personen. Die an das Matterhorn erinnernde Symbolik könnte ja auch ein «Bhaltis» wieder wachrufen, das Adolf Ogi stets in der Tasche hatte. Einen Bergkristall oder auch mal zwei. Das wäre dann das «etwas mehr», das die Gemeinde Uetendorf im Claim zum Logo aufführt.