Aarburg ist einer der ganz wenigen Orte in der Schweiz, wo physikalische Gesetze einen schwereren Stand haben. Hier fliesst nämlich an gewissen Orten Flusswasser rückwärts und hier kam es auch schon vor – und heuer ist sogar das 35-Jahr-Jubiläum dafür – dass sogar auch die Zeit rückwärtsläuft.

Die «Aarewaage» ist der Ort, wo das Wasser im Fluss der Aare rückwärts fliesst. Ein Naturphänomen, einmalig in Europa. Ein Touristenmagnet. Allgemein bekannt. Weniger bekannt dürfte der Umstand sein, dass genau vor 35 Jahren auch die Zeit rückwärts lief. Damals wurde nämlich ein Systemzustand wieder so hergestellt, wie er 1972 bestanden hatte. Die dazwischen liegenden 17 Jahre wurden sozusagen ausradiert. Von 1989 zurück auf 1972. Die Rede ist vom Einwohnerrat der Stadt, der abgeschafft wurde. Im Jahre 2024 ist es 35 Jahre her. Ein Jubiläum. Ausserirdische Mächte standen jedoch diesem Tun nicht zu Gevatter. Eine Volksinitiative der SP wars, die das neue Gremium ungeschehen machte. Begründung: Es sei immer schwieriger, Kandidierende zu finden, und das Volk bringe dem Rat kaum Wertschätzung entgegen indem es dessen Vorlagen meistens im Anschluss den Garaus mache. Das Volk stimmte der Abschaffung zu und so wurden die Uhr 17 Jahre rückwärts gedreht.

Aarburg ist nicht die einzige Gemeinde, die 35 Jahre Abschaffung des Einwohnerrats «feiert». Auch die Nachbarschaftsgemeinde Oftringen wollte 1989 nichts mehr vom Parlament wissen. Die Abschaffungs-Initiative, die von Dieter Scheibler, einem Landwirt eines grossen Biohofs in Oftringen gestartet worden war, kam mit 2 Stimmen Mehrheit durch. Damals war ein Argument die fehlende Erneuerung. Noch immer sassen viele, die bei der Einführung des Einwohnerrates Einsitz nahmen, weiterhin drin.

Scheibler sieht heute eine leicht veränderte Lage: Ein Einwohnerrat wäre sicher gut, meint er im Gespräch. Dieser sei demokratisch und bilde ein Gegengewicht zur Exekutive, die sonst schon etwas gar viel Macht auf sich vereinige. Zudem seien Einwohnerräte gute Kandidaten für die Exekutive aufgrund ihrer politischen Erfahrung. «Und wenn heute wieder ein Einwohnerrat in Oftringen eingeführt würde, nähme ich die Chance wahr, auch zu kandidieren.»

Doch ein Versuch, in Oftringen den Einwohnerrat wieder einzuführen scheiterte am 18.10.2015 bei einer Stimmbeteiligung von 39,7 Prozent mit 1533 gegen 1313 Stimmen.

Ganz anders ist Windisch: Hier wurde jüngst das 50jährige Jubiläum des Bestehens gefeiert. In allen Ehren und ohne Nebengeräusche. Am einen Ort klappts, am andern Ort nicht. Doch auch in Windisch stand es schon auf Messers Schneide: 1992 wurde ein Versuch, die Legislative abzuschaffen, gebodigt.

So wurden im Kanton Aargau zwischen 1966 und 1974 in den 15 Gemeinden Aarau, Aarburg, Baden, Brugg, Buchs, Lenzburg, Neuenhof, Obersiggenthal, Oftringen, Spreitenbach, Suhr, Wettingen, Windisch und Zofingen Parlamente eingeführt. Bis 1990 hatten jedoch die fünf Gemeinden Aarburg, Neuenhof, Oftringen, Spreitenbach, Suhr es wieder abgeschafft. Mal sehen, wie es weitergeht. 

Ob es Aargauer Beispiele in anderen Kantonen auch gibt? In Luzern jedenfalls ist es nach Auskunft der Behörden noch nie vorgekommen.


Bild:Bruno Hofer